mit Werken des Bildenden Künstlers YANOMANO
Der Titel der aktuellen Ausstellung von Yanomano lautet Line_Up.
Line, oder zu Deutsch: Linie; im wortwörtlichen Sinn: ein (gezeichneter) Strich, eine "Richtschnur". Und mit Line_Up könnte in dieser Ausstellung wohl die Wiederholung und Aneinanderreihung von Strichen in ihrer grundsätzlichen Form gemeint sein.
Eine Linie ist zunächst eine zweidimensionale Form. Die Linie, ja, sie zeigt sich in Yanos Werken, mal präzise, klar, mal unklar, verwischt und nicht gleichmäßig. Aber immer: Verbindend, denn der gemalte Strich verbindet die Oberflächen miteinander - den Untergrund zuweilen mit dem Hintergrund.
Linie heißt auch Kontrast: Der Stift setzt sich farblich vom Untergrund ab, der Strich der Stiftspitze oder Pinselfläche ist mal stark, schwach, dick oder dünn gezogen und setzt Akzente. Die Linie gibt Form und Richtung vor und bestimmt den Betrachterwinkel. Daher trifft der Titel Line_up die Werkauswahl gut: Sie umfasst die Hervorhebung des Striches, allen voran zur Betonung des Trägermaterials, des geschichteten Papiers.
Zu sehen ist eine klare, kraftvolle, ungemischte Farbe, meist Schwarz, aus der die Linie entsteht; teils ist es der vor Farbe triefende Pinsel, der einen breiten Strich auf weiß gebleichtem Papier hinterlässt, er zieht sich über mehrere Blätter, die nur an der sich nicht überlappenden Stelle Farbe aufnehmen. Ein sichtbarer Cut zu der sonst unbelassenen Umgebung.
Die übereinander drapierten Papierbogen, bei denen die jeweils obere Lage von der unteren etwas eingerückt ist, lassen eine große Raffinesse vermuten und verraten, dass es nicht rein zufällig ist, was hier entstanden ist. Das geübte Auge des erfahrenen Künstlers war hier im Einsatz.
Bleistift trifft auf Acryl, Handwerk auf Industrie. Handwerk: Das ist der gezeichnete Strich und die gleichmäßig angelegte Struktur der manuell übereinander platzierten und mit Clips verankerten Papierbogen. Jedes einzelne Papier erhält seine individuell bestimmte Farbtextur, -struktur und -form, aber bilden alle Papierbogen nur im Set das Gesamterscheinungsbild allein eines Bildwerkes. Das gleichwertige und doch unterschiedliche Aussehen rhythmisch gegliederter Wandbilder prägt diese Werkschau.
Industrie: Das ist der serielle Charakter, der sich in dem maschinell erzeugten Papier und seinem serienmäßigen Format zeigt, wobei gestalterisch kein Blatt dem anderen gleicht.
Es gibt ein Werk, in dem sich das Malutensil -ein Holzpinsel- als Teil des Kunstwerkes wiederfindet, aufgelegt auf ein Blatt Papier, das zuvor am unteren Rand mit tiefschwarzer Farbe bemalt wurde. Über der dunklen Fläche zeichnen sich am oberen Bildrand zudem dünne schwarze Bleistiftlinien ab, die den Hintergrund in einer solchen Fülle überdecken, dass sie mit dem unteren Bildrand farblich korrespondieren. Dies ist eine Collage aus einem echten Malpinsel auf einer durch gemalte und gezeichnete Striche grafisch veränderten Oberfläche, die die gestalterische Dimension von Abgrenzung und Vermischung aufzuzeigen vermag.
In anderen Werken nimmt die Farbe gegenständlichere Form an, wenn die wässrig
aufgetragene und angetrocknete Farbe Strukturen entwickelt wie sie verkohltes Holz hat. Dabei wird Weiß als Kontrast zur Modellierung der schwarzen Farbe verwendet. Und dazu tritt ein überraschendes Moment ein: Die Lage Papier, die oben aufliegt, unterscheidet sich von den anderen holzähnlich bemalten Seiten Papier, denn auf ihr stieben kurze, scheinbar zufällige Striche aus schwarzem Kohlestift nach rechts auseinander, die sich -in konventioneller Lesart von links nach rechts- verdichten und am rechten Papierrand zusammenführen. Ein wahres Schauspiel ohne wirkliche Figuren, das den Betrachter zu verstehen gibt, dass er länger davor verweilen und die Blicke darin vertiefen dürfe.
In Yanos Werken spielt das Licht eine wichtige Rolle und darüber hinaus auch die Umgebung, wie die Wand oder der Wind. Das Aussehen des Papiers verändert sich dadurch; es entstehen neue Formen, wenn der Schatten des Fensterrahmens die Oberfläche des Papiers überspannt. Das Papier selbst verwandelt sich zu einer dreidimensionalen Skulptur, wenn es gefaltet und in unzähligen Layern geschichtet und geschnitten reichlich Konturen erhält, sogar die phalanxartige Aneinanderreihung der Bogen erscheint massig und solide.
Ja, Yanomanos Werke sind skulptural, jedoch nicht im Verständnis des Begriffs Statue, also als stehendes, unabänderliches Kunstwerk, bei der das Material mittels gängiger bildhauerischer Technik aus einer Form unwiederbringlich geschnitzt, gehauen, getrieben, gezogen, geschnitten oder gebrochen wird. Yanos Werke sind anders: sie sind bewegliche Plastiken mit ausgeprägter haptischer und optischer Qualität, die sich stets weiter formen und verändern lassen, da sie weder statisch noch aus einer festen, solitären Urform geschaffen sind.
Denn gewollt ist eine individuelle Formbarkeit der mobilen Elemente, die dazu auffordern die ineinander gesteckte Anordnung selbst zu verändern. So lässt sich die lamellenartige Papierformation in eine maximale Breite beliebig strecken - ein dafür angefertigtes Haltesystem dient als Schiebeschiene.
Die Werke kommen ohne Rahmen aus, erst ohne Rahmen werden sie zum Kunstwerk. Der Strich hat keinen Anfang und kein Ende, es ist nur ein ausschnitthafter Prospekt eines imaginären Ganzen, den die Kunstwerke wiedergeben.
Yanos Werke lassen sich einer bestimmten Kunstgattung nicht eindeutig zuordnen, umso intensiver vermitteln sie vielmehr noch den Eindruck, Teil sowohl der Bildenden Kunst als auch Darstellenden Kunst zu sein. Ungeachtet klassischer Gattungsgrenzen entwirft Yanomano seine eigene Kunstsprache; seine Werke wollen synonym für eine moderne Bildhauerei stehen.
In Yanos Werken finden sich darüber hinaus Rückbezüge zu konzeptionell-inhaltlichen Auffassungen der internationalen Avantgarde der 1920er Jahre; erstmals wurde darin die aktive Partizipation anstatt der kunstkonsumierenden Passivität der Betrachter inszeniert. Im Sinne dieses zutiefst demokratischen Aspektes steht in Yanomanos Kunst eine optische Dynamik eines aus Knicktechnik erzeugten Kontrasts, der sich je nach Standort verändert, im Vordergrund. Nicht zuletzt veranlasst dieses Interaktionsangebot an den Betrachter eine Bewusstwerdung des Sehens, das mit einer konzentrierten Wahrnehmung einhergeht.
In diesen Werken zeigt sich somit selbstbewusst, dass Kunst vielfach und neu verbindet, nämlich Handwerk mit Industrie, Materialien mit Materie, also der sie umgebenden Gestaltung, und Illusion mit Realität.
In diesem Sinne möge diese Ausstellung, mögen die Werke auch eine Verbindung zu Ihnen,
liebe Gäste, herstellen.